Millionär attackiert Arme: Merz und die Mieten
Was passiert, wenn Bürgergeldberechtigten die Wohnkosten gekürzt werden? Welche Kosten verursachen die Einsparungen? Und was würde wirklich helfen?

Jetzt als Bundeskanzler möchte er Geld einsparen und hat auch schon Ideen wo: Am liebsten bei denen, die am Existenzminimum leben. Im ARD-Sommerinterview brachte er jüngst die Idee ins Spiel, den Anspruch auf die Wohnkosten, den Bürgergeldberechtigte haben, zu reduzieren. Der Kanzler könne sich Wohnkostenpauschalen oder eine Überprüfung der Wohnungsgröße vorstellen.
Jeder achte Haushalt legt schon jetzt Geld drauf
Sein Spin war klar: Sozialhilfeempfänger lebten in staatlich finanzierten Luxuswohnungen. Das hat mit der Realität selbstverständlich nichts zu tun. Jeder achte Haushalt im Bürgergeldbezug bekommt nicht die tatsächlichen Wohnkosten vom Amt bezahlt, sondern gibt sogar noch etwas aus dem Regelsatz dazu, wie durch eine Anfrage der Linksfraktion herauskam.
Die Mietzahlungen der Jobcenter hängen von Haushaltsgröße und Region ab – übernommen werden nur die Kosten, die als angemessen gelten. Das ist in Großstädten wie München mehr als in ländlichen Regionen.
Anders in der sogenannten Karenzzeit: Im ersten Jahr des Bürgergeldbezugs werden die bisherigen Mietkosten übernommen, damit sich die Menschen auf die Arbeitssuche konzentrieren können. Das will die Bundesregierung aber ändern. Im Koalitionsvertrag heißt es, dass bei unverhältnismäßig hohen Kosten für die Unterkunft die Karenzzeit entfallen soll.
Doch wie viel lässt sich in diesem Bereich überhaupt einsparen? Mehrere Medien, die sich auf Kreise des Finanzministeriums berufen, berichten, dass im kommenden Jahr 1,5 Milliarden Euro beim Bürgergeld eingespart werden sollen. Auf Nachfrage der taz beim Finanzministerium, wie sich diese Summe zusammensetzt, wird auf das Bundesarbeitsministerium verwiesen. Das wiederum weicht aus: Der Regierungsentwurf für den Haushalt 2026 sei „derzeit noch in Abstimmung“. Die genaue Ausgestaltung der Bürgergeldreform werde derzeit erarbeitet.
Finden Bürgergeldempfänger*innen trotz Bemühungen keinen günstigeren Wohnraum, seien „die bisherigen Aufwendungen weiter anzuerkennen. Sie müssen sich aber weiter um eine Kostensenkung bemühen“, heißt es aus dem SPD-geführten Bundesarbeitsministerium.
„Das Problem durch mehr Obdachlosigkeit lösen“?
Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dagmar Schmidt, fand da deutlichere Worte. „Wohnungen für Normalverdiener werden nicht günstiger, indem man Bürgergeldempfängern die Unterstützung streicht“, erklärte sie nach dem Sommerinterview von Merz, „Statt das Problem teuren Wohnraums durch mehr Obdachlosigkeit zu lösen, gilt es, ausufernde Mieten mit der Mietpreisbremse zu begrenzen und in bezahlbaren Wohnraum zu investieren.“ Leistungskürzungen werde es „mit uns nicht“ geben.
Sahra Mirow, Sprecherin für soziales Wohnen in der Bundestagsfraktion der Linkspartei, bezeichnete die Äußerungen des Bundeskanzlers gegenüber der taz als „schäbige Kürzungsdebatte auf dem Rücken der Ärmsten.“ Merz habe „überhaupt nicht verstanden, wie dramatisch die Situation ist.“ Wohngeld und Kosten der Unterkunft seien für viele die einzige Möglichkeit auf einem überhitzten Wohnungsmarkt. Es bräuchte umfassende Reform des Wohnungsmarktes, die den sozialen Wohnungsbau stärkt, einen Mietendeckel und mehr öffentliche Kontrolle.
„Merz’ Vorschlag befördert Zwangsräumungen und damit Wohnungslosigkeit“, sagt auf taz-Nachfrage Katja Kipping, Geschäftsführerin des Paritätischen Gesamtverbands. Dies sei „für die Betroffenen eine Katastrophe und sehr teuer für die öffentliche Hand“, denn auch Unterkünfte von Wohnungslosen kosteten Geld. Sollte die Angemessenheitsgrenzen abgesenkt werden, rechnet Kipping mit mehr Klagen. „Denn man kann die Angemessenheit nicht einfach nach Lust und Laune senken. Immerhin handelt es sich hier um existentielle Rechte.“
Selbst, wenn man sich im Wohnraum enorm verkleinere, finde sich im bisherigen Wohnumfeld selten eine preiswertere Alternative, erklärt sie. Wenn Menschen weit weg ziehen müssen, gehen auch Unterstützungsnetzwerke verloren, „zum Beispiel Nachbarn, die Älteren beim Einkaufen helfen, oder mal die Kinder von Kita abholen“. Dies sei gerade für Menschen, die für Hilfe nicht bezahlen könnten, ein großer Verlust, ganz zu Schweigen vom sozialen Verlust. „Armut geht ohnehin oft mit Vereinsamung einher“, erinnert Kipping.
Darüber hinaus betont die Expertin, dass Kürzungen besonders Frauen und Alleinerziehende treffen würden, denn: 27 Prozent aller Alleinerziehenden leben unterhalb der Armutsgrenze. Statt Merz’ Pläne umzusetzen, sollte die Regierung aus Sicht der Paritäter lieber „die Schlupflöcher bei der Mietpreisbremse schließen und in angespannten Wohnungsmärkten einen Mietendeckel ermöglichen“.
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